Buxtehuder Tageblatt 23. März 2009
Wunderbares Einpersonenstück mit Hans-Christoph Michel im Theater im Hinterhof
BUXTEHUDE. Sisyphos gilt als Begründer der isthmischen Spiele und ist der Überlieferung zufolge König von Medea gewesen. Dennoch ist er bekannt durch einen Makel in seinem Leben. Ihm wurde in der Unterwelt die Strafe auferlegt, einen Stein einen Hang hinaufzurollen, der immer kurz vor dem Gipfel wieder hinabstürzte. Noch heute nennt man Aufgaben, die trotz großer Mühen unerledigt bleiben, Sisyphusarbeit.
Genau wie bei Sisyphos steht auch im Theaterstück „Schischyphusch, oder der Kellner meines Onkels", das am Sonnabend im Theater im Hinterhof aufgeführt wurde, ein Makel im Mittelpunkt der Handlung. Durch einen bloßen Zungenfehler, der es sowohl Gast als auch Kellner unmöglich macht, S-Laute korrekt auszusprechen, entbrennt ein äußerst emotional geführter Streit, der in einer wundervollen Freundschaft enden soll. Im Mittelpunkt stehen dabei zwei Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite der hünenhafte, einbeinige Onkel, der offensiv und inbrünstig seinen Sprachfehler zur Schau stellt. Auf der anderen Seite der kleine schmächtige Kellner, der bei jedem seiner Sprachfehler am liebsten im Boden versinken würde. Und so werden die Frage des Kellners: „Bitte schehr, Schie wünschen?" und die folgende Antwort des Onkels: „Schwei Aschbach und für den Jungen Schelter oder Brausche!" zum Anstoß für eine unglaublich tragikomische Situation inmitten eines vollbesetzten Gartenlokals.
Hans-Christoph Michel schlüpft in diesem Einpersonenstück meisterhaft in die Rollen des Onkels und des Kellners und arbeitet deren charakterliche Unterschiede wunderbar heraus. Dabei nutzt er neben seiner wandlungsfähigen Stimme vor allem sein scheinbar endloses Repertoire an Gestik und Mimik. Und so schafft er es, echte Gefühle zu erzeugen und zu transportieren. Dabei verzichtet er bewusst auf allzu viel Komik und lässt lieber dem Skurrilen Raum. Unterstützt durch das besondere Ambiente des Theaters im Hinterhof entsteht eine spürbare Nähe und Anteilnahme zwischen Publikum und Protagonist(en). Die Inszenierung, gepaart mit der großartigen Darbietung von Hans Christoph Michel, verdichtet und dramatisiert dabei die Vorlage Wolfgang Borcherts (1921 bis 1947) auf fantastische und vor allem nachvollziehbare Art und Weise. Und so hat dieses Stück Akzeptanz und Applaus verdient, auch wenn es seit der Uraufführung vor zehn Jahren oftmals dafür gerügt wurde, falsch mit Borcherts Werken umzugehen. Ebenfalls positiv sah es das Buxtehuder Publikum, und so gab es kräftigen Applaus und laute „Bravo"-Rufe. Dass Hans-Christoph Michel die Werke Borcherts lebt und liebt, bewies er bei einer Lesung im Anschluss an das Stück. Mitreißend und fesselnd las er zwei von Borcherts Kurzgeschichten und erschuf so mit Hilfe von Borcherts detailversessenen Texten bei den Zuhörern „Kino im Kopf".
Stefan Bellgardt
Süddeutsche Zeitung, Lokalausgabe Fürstenfeldbruck 08. November 2005
Borcherts „Schischyphusch“ in Puchheim aufgeführt
PUCHHEIM. Sisyphos ist ein geschlagener Mann, sicherlich. Aber nicht ganz ohne Schuld. Der erfolglose Steinwälzer hat sich sein unmenschliches Strafmaß zu Teilen selbst eingehandelt, mit bedenkenloser Schlaumeierei, die nicht einmal vor den Göttern halt machen wollte. Auch bei Wolfgang Borchert ist der Mensch (vor allem der Mensch im Krieg) nicht nur ein Opfer, sondern immer auch ein Täter. Seine Erzählung „Schischyphusch“, die vergangenen Sonntag als Einpersonenstück im Kulturcentrum Puchheim (Puc) aufgeführt wurde, verteilt diese beiden menschlichen Rollen auf einen Kellner und den Onkel des Erzählers. Die Inszenierung stammte aus alten Tagen des Puc-Leiters Michael Kaller, der die Erzählung während seiner Zeit an der Hamburger TheaterManufaktur dramatisiert hat. In die dreifache Rolle von Erzähler, Onkel; und Kellner schlüpfte Hans-Christoph Michel.
Auch dieser Onkel und sein Kellner sind Geschlagene, insbesondere ans Kreuz der Sprache und ihrer Unzulänglichkeiten. Beide haben eine zu kurze Zunge, können statt „s“ und „z“ nur ein wässriges „seh“ nuscheln. Allein, der eine tut dies mit ganzer Inbrunst und Lebenskraft, der Onkel, ein ungebremster „Tatmensch“, ohne einen Funken Selbstzweifel. Der andere aber, der Kellner, eine verhuschte und zerfahrene Existenz, ein „dummer Hase“ (wie ihn der Onkel in vernichtender Anteilnahme nennt), würde sich am liebsten mit jedem fehlerhaften Laut selbst verschlucken.
Michel arbeitete die Gegensätze der Schicksalsgenossen wunderbar anschaulich heraus. Den Onkel, der die Zungenspitze gewissermaßen selbstverschuldet, doch heldenhaft im Krieg verlor, gab er mit breiter Brust und gewaltiger Herrenstimme. Der Kellner, der unverschuldet an einem Geburtsfehler litt, blieb dagegen leise, katzbuckelnd und gefangen in der Zwangsjacke seines eigenen Ich. Am stärksten waren jene stummen Passagen, in denen sich zeigte, wie der eine in seinem Leiden immer noch Täter sein konnte, während der andere zum Opfer verdammt blieb; Wenn etwa der Onkel dem Kellner;seine vermeintliche Nächstenliebe derart zupackend zeigte, dass man fürchten musste, der bemitleidete Kellner (hier gedoubelt von einem Holzstuhl) werde von soviel Mitgefühl zerquetscht. Oder wenn auf der anderen Seite der Kellner ins Schweigen verfiel, ins Leere starrend, sein Gesicht im kalten Entsetzen zur Fratze verzerrt, erschrocken über sein unausweichliches Schicksal als Schattenexistenz. Während der eine also kann, wenn er nur einfach will, so kann der andere noch soviel wollen, er schafft es dennoch nie: ganz so wie Sisyphos, zu Lebzeiten ein listiger Schmied seines Glücks, nach dem Tod aber verdammt armer Teufel im Hades. Christoph Kappes
Bergedorfer Zeitung 11. März 2008
GEESTHACHT (gb) „Einfach grandios. Ich bin total beeindruckt", sagte Karl-Heinz Schoppmeier. Als einer von rund 280 Zuschauern kam er auf Einladung seines Rotary Clubs (RC) Geesthacht - Hohes Elbufer ins Kleine Theater Schillerstraße. Dort gastierte Hans-Christoph Michel von der Hamburger Theatermanufaktur, brillierte in dem Monologstück nach der Kurzgeschichte von Wolfgang Borchert „Schischyphusch – oder der Kellner meines Onkels“. Meisterhaft schlüpfte Hans-Christoph Michel in die Doppelrolle des lauten Onkels und des verdrossenen Kellners. Die beiden begegnen sich in einem. Gartenlokal. Und weil beide lispeln, scheint die Begegnung sofort zu eskalieren. Mit ständigem Wechsel der Gesten, Mimik und der Stimme gibt der Schauspieler die sehr gegensätzlich geprägten Persönlichkeiten wieder. „Ich danke Ihnen für Ihr Erscheinen. Neben uns Rotariern unterstützen auch Sie ein großartiges Hilfsprojekt, an dem sich unser Club beteiligt", sagte der RC-Präsident Samuel Bauer. Die Einnahmen des Abends sind für ein Projekt in Peru bestimmt. Im Norden des Landes, in einer armseligen Gegend unweit von Chiclayo wird mit Hilfe eines Rotary Clubs eine Schule gebaut, damit die dort lebenden Kinder eine Chance auf Bildung bekommen. „Diesen Schulbau werden wir mit Ihrer Hilfe unterstützen“, sagte Bauer. Dank des Theater-Events kann der RC Geesthacht – Hohes Elbufer rund 3.500 Euro für das Projekt bereitstellen. Bauer: „Unser besonderer Dank gilt natürlich dem Schauspieler Hans-Christoph Michel, aber auch dem Theater-Leiter Ulrich Jacobi, der uns für diesen Benefizabend das Theater kostenfrei zur Verfügung gestellt hat.“Gregor Bator
Landeszeitung Lüneburg vom 5. März 2007
Hans-Christoph Michel spielt „Schischyphusch“
ff LÜNEBURG. „Bitte schehr?" Unzählige Male hat der Kellner im Laufe seiner Dienstjahre den Gästen diese Frage nach ihren Wünschen gestellt, dabei Schmerz und Demütigung gespürt, Folgen eines angeborenen Sprachfehlers, einer verkürzten Zunge. Kein „S", kein „Z" ist ihm möglich, immer nur dieses wässerige „sch". Aber heute gerät der Kellner an den Falschen beziehungsweise den Richtigen, und nun wird alles anders. Davon erzählt Wolfgang Borcherts „Schischyphusch", gespielt von Hans-Christoph Michel im Studio des Theaters Lüneburg. Die Kurzgeschichte, mit vollem Titel „Schischyphusch, oder: Der Kellner meines Onkels", 1946 geschrieben, ist in 30 Minuten gelesen. Hans-Christoph Michel von der „HamburgerTheaterManufaktur" hat sie zu einem knapp einstündigen Theatersolo ausgebaut: streng am Text, karg in der Requisite (ein Stuhl, ein gestreiftes Kellnerjackett, eine schmuddelige Serviette), aber reich an Gefühlen, an Dramatik und auch an skurrilem Witz. Der devote Kellner also, eine graue, unscheinbare Kreatur, gerät an einen Gast, der den gleichen „Schungenfehler" hat: an den Onkel des Ich-Erzählers, an einen mächtigen, dröhnenden, selbstbewussten Erfolgsmenschen, der sogar eine doppelte Benachteiligung niedergekämpft hat - ihm fehlt ein Bein. Aber Bein und Zunge, beides sind Kriegsverletzungen, also ehrenhaft. Nun fühlt sich der Veteran, natürlich zu Unrecht, auf den Arm genommen, herausgefordert: „Schind schie wahnschinnig ?" Es wird still ringsum im Biergarten, da scheint sich etwas Unerhörtes zu entwickeln. Tatsächlich passiert das Unerhörte: Der Kellner setzt sich zum Gast, überschreitet also - endlich einmal - die Standesgrenze, zückt seinen Ausweis und zeigt in der Rubrik „Besondere Kennzeichen": Sprachfehler, angeboren. Der Onkel, verdutzt, dann erheitert, reagiert wie üblich laut, mit derbem Mitleid („armesch klei-nesch Luder"), der Bann bricht, die Geschichte könnte zu Ende sein. Aber der ewig gehänselte Kellner lässt sich hinreißen von dieser unerwarteten Anerkennung, ein meckerndes, blökendes, endloses Lachen bricht aus ihm heraus, die Situation droht erneut zu kippen. Nun ist es an dem Onkel, eigene Grenzen zu überwinden - schimmern da Tränen in seinen Augen? Hans-Christoph Michel geht souverän, nur manchmal sich versprechend, den Weg vom Erzähler zum Onkel, zum Kellner und wieder zurück, langer Applaus für ihn. Noch zweimal, am 8. und 16. März, jeweils 20 Uhr, wird er „Schischyphusch" im T.NT spielen. Bitte schehr!
Rotenburger Rundschau 24. November 2003
Kulinarischer Theaterabend mit „Schischyphusch“ im Cafè NebenAn“ in Visselhövede
VISSELHÖVEDE (aki) • „Mischgeschtalteter
Schwerg", schreit der Gast den Kellner an, weil er sich durch den selben
Zungenfehler verschaukelt fühlt. „Schischyphusch oder der Kellner
meines Onkels" wurde vom Hamburger Schauspieler Hans-Christoph Michel
aufgeführt, womit er der Einladung des Visselhöveder Kulturvereins
„EigenArt" gefolgt war.
In Gestalt von Onkel und Kellner servierte er gekonnt die tragikomische
Inszenierung von Wolfgang Bor-cherts erster und bekanntester Theaterfassung.
Und wo wäre diese Kurzgeschichte besser präsentiert, als im Café
NebenAn? Mitten zwischen den vollbesetzten Tischen, wobei die Gäste
so zu stillen, unfreiwilligen Akteuren wurden, agierte Hans-Christoph Michel
in den Rollen der beiden Protagonisten.
Auf der einen Seite der Gast: Rennfahrer, Frauenver-führer, saufender
Sieger -auf der anderen Seite der kleine Kellner, zerfahren, geruchlos,
unterdrückt und verschwitzt. Doch eines haben beide gemeinsam - denselben
Zungenfehler - ein feuchtwässriges weiches „Sch".
Jeder geht mit seiner Behinderung anders um. Der Kellner, an jedem Tisch
verspottet, belächelt und immer kleiner geworden, „die Zunge
zum Pygmäen erdrückt". Der Onkel: groß, breit, grinsend,
mit der viel zu kurzen Zunge, aber so als hätte er sie nicht.
„600 bis 700 Augen- und Ohrenpaare waren auf unseren Tisch gerichtet.
Kaffeetrinker, Spazierläufer, die den Auftritt der beiden mehr genossen
als Bier, Brause und Bienenstich. Mittendrin Mutter und ich", berichtete
Michel aus der Sicht des Neffen, der mal als Kellner nur zu einem Achtel
auf dem Stuhl Platz nahm und sich als Onkel auf einen Stuhl stellte, um
die symbolische Größe des Onkels zu demonstrieren. Jede Pose
saß, Gestik, Mimik und Ausdruck waren sehr gut einstudiert.
Der Kellner zeigt den Gästen seinen „Pasch": „Barschelona,
Oschnabrück, Parisch." Dann mit seinem kleinen abgenutzten Finger
auf den riesigen Sprachfehler weisend: „Und alsch beschonderesch Kennscheichen,
das weiche, feuchte Sch". Wolfgang Borcherts Stücke reizen trotz
der skurrilen Situationen in der Regel weniger zum lauten Lachen, als mehr
zum Schmunzeln, Lächeln und Nachdenken. Denn dieses sozialkritische
Stück zeigt deutlich die Klassenunterschiede auf, die auch heute noch
aktuell sind.
Rotenburger Rundschau 24. November 2003
Kulinarischer Theaterabend mit „Schischyphusch“ im Cafè NebenAn“ in Visselhövede
VISSELHÖVEDE (aki) • „Mischgeschtalteter
Schwerg", schreit der Gast den Kellner an, weil er sich durch den selben
Zungenfehler verschaukelt fühlt. „Schischyphusch oder der Kellner
meines Onkels" wurde vom Hamburger Schauspieler Hans-Christoph Michel
aufgeführt, womit er der Einladung des Visselhöveder Kulturvereins
„EigenArt" gefolgt war.
In Gestalt von Onkel und Kellner servierte er gekonnt die tragikomische
Inszenierung von Wolfgang Bor-cherts erster und bekanntester Theaterfassung.
Und wo wäre diese Kurzgeschichte besser präsentiert, als im Café
NebenAn? Mitten zwischen den vollbesetzten Tischen, wobei die Gäste
so zu stillen, unfreiwilligen Akteuren wurden, agierte Hans-Christoph Michel
in den Rollen der beiden Protagonisten.
Auf der einen Seite der Gast: Rennfahrer, Frauenver-führer, saufender
Sieger -auf der anderen Seite der kleine Kellner, zerfahren, geruchlos,
unterdrückt und verschwitzt. Doch eines haben beide gemeinsam - denselben
Zungenfehler - ein feuchtwässriges weiches „Sch".
Jeder geht mit seiner Behinderung anders um. Der Kellner, an jedem Tisch
verspottet, belächelt und immer kleiner geworden, „die Zunge
zum Pygmäen erdrückt". Der Onkel: groß, breit, grinsend,
mit der viel zu kurzen Zunge, aber so als hätte er sie nicht.
„600 bis 700 Augen- und Ohrenpaare waren auf unseren Tisch gerichtet.
Kaffeetrinker, Spazierläufer, die den Auftritt der beiden mehr genossen
als Bier, Brause und Bienenstich. Mittendrin Mutter und ich", berichtete
Michel aus der Sicht des Neffen, der mal als Kellner nur zu einem Achtel
auf dem Stuhl Platz nahm und sich als Onkel auf einen Stuhl stellte, um
die symbolische Größe des Onkels zu demonstrieren. Jede Pose
saß, Gestik, Mimik und Ausdruck waren sehr gut einstudiert.
Der Kellner zeigt den Gästen seinen „Pasch": „Barschelona,
Oschnabrück, Parisch." Dann mit seinem kleinen abgenutzten Finger
auf den riesigen Sprachfehler weisend: „Und alsch beschonderesch Kennscheichen,
das weiche, feuchte Sch". Wolfgang Borcherts Stücke reizen trotz
der skurrilen Situationen in der Regel weniger zum lauten Lachen, als mehr
zum Schmunzeln, Lächeln und Nachdenken. Denn dieses sozialkritische
Stück zeigt deutlich die Klassenunterschiede auf, die auch heute noch
aktuell sind.
Aller-Zeitung 12. Februar 2003
Wolfgang Borcherts Charakterstück Schischyphusch auf der Studio-Bühne des Kulturzentrums
(sdo) „Schischyphusch oder Der Kellner meines Onkels"
stand am Montagabend auf dem Programm des Kulturvereins. Und das Ein-Mann-Stück
des jungen Hamburger Dichters Wolfgang Borchert auf der Studiobühne
des Kulturzentrums hatte es in sich.
Der Schauspieler Hans-Christoph Michel zeigte den Zuschauern eine äußerst
skurrile Geschichte, die gleichzeitig ironisch, komisch, erschütternd
und unterhaltend ist.
In einem Gartenlokal begegnen sich zwei Männer, wie sie unterschiedlicher
kaum sein können. Ihre einzige Gemeinsamkeit ist ein Sprachfehler,
bei dem das „S" immer wie ein feucht-zischendes „Seh"
klingt. Gekonnt charakterisiert Michel die beiden völlig unterschiedlichen
Personen. Mit eindrucksvoller Mimik, Gestik und Sprache veranschaulicht
er den kleinen, geduckten, seit jeher wegen seines Sprachfehlers gedemütigten
Kellner. Eine „todwunde" Person. Hinter der unterwürfigen
Höflichkeit des Obers versteckt sich seine selbst definierte Minderwertigkeit.
Ganz im Gegensatz dazu der laut-polternde, selbstbewusste „Saufende
Sieger" -der Onkel, der herrisch nach Asbach verlangt und sein ungeduldiges,
massives Selbstbewusstsein zur Schau stellt.
Wie gebannt verfolgten die Zuschauer von der ersten bis zur letzten Minute
den Verlauf der Geschichte. Die heimelige Enge der Studiobühne ermöglichte
es denn auch sehr gut, die schauspielerische Leistung Michels vor allem
in der Mimik genauestens beobachten zu können. Mühelos und überzeugend
schlüpft er in die so unterschiedlichen Rollen des Kellners, des Onkels
und auch des Neffen, der das Geschehen beobachtet und kommentiert.
Keiner der Zuschauer konn-te sich der emotionalen Intensivität des
Stückes entziehen. Anhaltender Applaus dankte dann auch einer gelungenen
Vorstellung.
Gifhorner Rundschau 12. Februar 2003
Hans-Christoph Michel präsentierte Borcherts „Schischyphusch“ als dichte, anrührende Ein-Mann-Performance
GIFHORN. Es ist ein kleiner Mann auf dem harten Stuhl, erschöpft,
der die vom vielen Gehen schmerzenden Füße lockert, mühevoll
in sein Jackett schlüpft und fast überrascht hinschaut, als seine
Hände aus den Ärmeln auftauchen. Körperbeherrschung und Charakterzeichnung
durch Bewegung war nur ein Teil der dichten und anrührenden Ein-Mann-Performance
von Hans-Christoph Michel auf der Studiobühne. Da stimmte am Montagabend
einfach alles.
Die Einrichtung der Erzählung Wolfgang Borcherts „Schischyphusch
oder der Kellner meines Onkels" zeigt die Möglichkeiten auf, die
in einem Prosatext stecken. Schlicht gelesen wäre eine ähnliche
Wirkung wohl kaum zu erzielen. Im Gegenteil - dank der beachtlichen sprachlichen
Disziplin des Darstellers gehen die literarischen Feinheiten nicht verloren,
sondern gewinnen noch an Deutlichkeit. Jede Alliteration, jedes Gegensatzpaar,
jeder bewusste Einsatz von Wiederholung, jede Fermate genau und präzise
durch Spiel ergänzt herausgearbeitet - das ist eine Leistung, die höchste
Anerkennung verdient hat. Da blieb keine noch so groteske Nuance unakzentuiert.
Und das war die nötige Basis für das pantomimisch begleitete Spiel.
Blitzschnell wechselte Hans-Christoph Michel in Körperhaltung und
Sprache in die gegensätzlichen Partner, die einander im Kaffeegarten
begegnen - getreu der Regel, dass jeder auf der Welt einen Zwilling hat.
Nur ist es hier ein sprachlicher Zwilling. Beide haben eine zu kurze Zunge
und machen aus jedem „s" ein „sch". Den einen, den
Kellner, hat das Leben klein gemacht, er ist eine makabre Witzfigur, gebeugt
vom hundertfach gesprochenen „bitte scher" - belacht, erniedrigt,
ohne Persönlichkeit und mit dem Spitznamen „Schischyphusch"
belegt, weil er dem antiken Sisyphus gleich vergeblich Tag für Tag
mit dem Sprachfehler kämpft.
Wie Hans-Christoph Michel die Arme eng am Körper hält, den Blick
devot nach oben richtet, den eigenen einzigen Ausbruch verschämt zurücknimmt,
bis zum still hoffnungsvollen Abschiedswinken, das ist einfach beherrschtes
Schauspie-lerhandwerk. Der andere hingegen bekommt große Gesten, ein
Schwadroneur und Charmeur, trotz Kriegsverletzung und Beinverlust optimistisch
und laut, obwohl ein Stück Zunge fehlt.
Es ist Hans-Christoph Michel hoch anzurechnen, dass er bewusst auf zu viel
Komik verzichtet, lieber eine skurrile Aura entwickelt, die den Versuch,
laut zu lachen, in der Kehle erstickt, um plötzlich ganz ins Emotionale
umzuschlagen, wenn von den Tränen im Auge des Kellners erzählt
wird, als der sich zum ersten Mal verstanden fühlt, als der Sprach-Zwilling
ruft: „Du armes Luderchen“ Eine wunderbare Geschichte vom Beginn
einer seltsamen Männerfreundschaft über deren Fortgang Borchert
beredt schweigt. Die kurze Atempause vor dem Schlussapplaus war ein weiterer
Beweis für die Klasse der Aufführung.
Anja Alisch.
Walsraoder Zeitung 23. September 2001
Ein Sprachfehler, zwei Schicksale: Schischyphusch“ in der Gymnasium-Aula
Mucksmäuschensüll ist es in der Aula des Walsroder
Gymnasiums an diesem Freitagabend, noch stiller als es bei Theaterabenden
ohnehin üblich ist. Verpassen will an diesem Abend niemand etwas, keine
Silbe, keinen geflüsterten Einschub, kein einzelnes „...seh"
- nicht ganz einfach bei einem Ein-Mann-Stück, das Darsteller Hans-Christoph
Michel nicht nur zwischen den zwei Hauptfiguren hin- und herspringen lässt,
sondern auch zungenbrecherische Sprachfehler im Doppelpakt bietet.
Dass „Schischyphusch oder Der Kellner meines Onkels" von Wolfgang
Bordiert mit seinem Auf und Ab der Gefühle vielmehr ist als Zungen-Kauderwelsch,
bewies die HamburgerTheaterManufaktur in Walsrode aufs Beste: Hans-Christoph
Michel führt mit ausdrucksstarker Pantomime und wunderschöner
Borchertscher Wortakrobatik das Publikum sicher auf dem Drahtseil feinen
Humors. Für fast eine Stunde verwandelt sich die Aula in ein „großes,
prächtiges Gartenlokal" - und die Gäste können den Beginn
einer wunderbaren Freundschaft miterleben. Das erste Zusammentreffen zwischen
dem Pygmäen und dem Riesen, dem Gepeinigten und dem Tobenden, dem Kellner
und dem Onkel -zwischen zwei Menschen, die zwar den gleichen Sssssschprachfehler,
aber völlig unterschiedliche Schicksale haben.
Schon beim ersten gebuckelten „Bitte schehr" des Kellners, das
ihn wieder einen Zentimeter weiter in sich sinken lässt, nimmt die
Achterbahn der Gefühle ihren Lauf: Der bullerige Onkel sieht sich veräppelt,
bläst zum Angriff - und wird jäh gestoppt vom erbärmlichen
Gebaren'des tief verletzten Kellners. „Du armesch, armesch Luder"
tröstet der Riese dann den „mischgestalteten Schwerg". Und
auch die Cafégäste in der Aula starren fasziniert und voller
Mitgefühl auf jede Regung. Der beiderseitige Sprachfehler wird zur
Nebensache. Aus einer kleinen Begebenheit wird eine große Geschichte
mit Emotionen, wie sie nicht treffender hätten von Borchert beschrieben
und von Michel in Gestik und Mimik umgesetzt werden können. Mal gequält,
mal poltrig - leider manchmal eine Spur zu leise bei so viel Sprachfehlern.
Aber da hat Michel wohl eine Anleihe bei Loriot genommen: „Man muss
schon ganz genau hinhören..."
Janet Niemeyer
Böhme-Zeitung 7. Mai 2002
„Schischyphusch“ in der Waldmühle
Soltau. Da blieb dem Zuschauer trotz der Komik das Lachen
im Halse stecken. Mitleid flutete durch den Raum. Mitleid mit dem kleinen
Kellner, mit dem zerfahrenen, leicht schmuddeligen, unterdrückten Kellner
und der Tra-gik seines Lebens. In der Begegnung mit dem Gast, dem breiten,
reichen, sicheren, saftigen Onkel, wurde sie ganz deutlich. Beide, Kellner
und Onkel mit dem gleichen „Sch"ungenfehler, aber jeder mit einem
völlig anderen Schicksal: „Alscho, schwei Aschbach und für
den Jungen Schelter oder Brausche. Oder wasch haben Schie schonst?"
„Scher wohl. Bitte scher".
Ein großer Wurf ist der Kulturinitiative Soltau gelungen, in dem sie
die Hamburger Theater-Manufaktur für einen Auftritt in der Waldmühle
verpflichtete. „Schischyp husch oder Der Kellner meines Onkels"
von Wolf gang Borchert zeigte die täglich überall stattfindende
Traurigkeit, Übermäßigkeit, Unterdrücktheit, Sattheit,
Hoffnungslosigkeit und Einsamkeit. Schauspieler Hans-Christoph Michel erzählt
die Geschichte über die Bekanntschaft der beiden, die in einem Gartenlokal
begann, aus Sicht des Neffen. Er spielt abwechselnd klein, gedrückt,
geschrumpft den Kellner und lauthals, stolzgeschwellt den Onkel.
Nur mit Stuhl und einem zerschlissenen Handtuch als Requisiten wird die
Kluft zwischen dem einen, aus dem der angeborene Zungenfehler einen Pygmäen
machte, und dem anderen, der trotz verlorener Zungenspitze ein saufender
Sieger, und Frauenheld ist, deutlich. Aber trotzdem haben beide am Ende
einen Freund gefunden: Wiedersehen bis nächsten Sonntag, „armesch
kleinesch Luder." Und der kleine, graue, armselige Kellner wacht aus
seinem Tod auf und wischt alle Zungenfehler der Welt mit seinem grauen Handtuch
davon.
Anja Trappe
Abendzeitung 8. Juni 2001
Wolfgang Borcherts „Schischyphusch als Bühnensolo: Ein Gastspiel aus Hamburg im Metropol-Theater
„Armesch, kleinesch Luder!" Diese mitleidigen Worte
geben einem kleinen, mit zu kurzer Zunge und einem S-Fehler geschlagenen
Kellner seine Menschenwürde zurück. Der junge Hamburger Dichter
Wolfgang Bordiert („Draußen vor der Tür") schrieb
1947, kurz vor seinem Tod mit nur 26 Jahren, die Kurzgeschichte „Schischyphusch
oder Der Kellner meines Onkels" über die skurrile Begegnung zweier
Männer mit demselben Sprachfehler die sich jeweils vom anderen verhöhnt
fühlen. Die Hamburger TheaterManufaktur gastiert mit ihrer Dramatisierung
im Metropol-Theater.
In der präzisen Regie von Michael Kaller genügt ein Stuhl auf
leerer Bühne für das Gartenlokal. Hans-Christoph Michel spielt
das Kind, aus dessen Perspektive die Begegnung erzählt wird und die
beiden Kontrahenten. Grau, armselig, zerknittert der schüchterne Kellner
in zu engem Jäckchen, die linke Schulter hochgezogen, ein schmutziges
Handtuch über den Arm, ein unterwürfiges „Bitte schehr"
auf den Lippen. Dick, reich und dröhnend vor Lebenslust der Onkel,
der im Krieg Bein und Zungenspitze verlor. Den komischen Kampf der beiden
und die Katharsis des Lachens und Verständnisses zeichnet Michel eine
intensive Stunde lang mit hochartifizieller Körpersprache und expressivem
Ausdruck.
Gabriella Lorenz
tz 7. Juni 2001
Hamburger Gastspiel: „Schischyphusch oder der Kellner meines Onkels“ im Metropol
Ein Klassiker, der seit seiner Erscheinung nach Kriegsende
jede Generation von Neuem anrührt - Wolfgang Borcherts Erzählung
„Schischyphus oder Der Kellner meiens Onkels". Es ist die Schilderung
einer Begegnung zweier Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein
könnten - und es ist der Beginn einer wunderlichen Freundschaft: des
kleinen, armseligen, vom Leben stiefmütterlich behandelten Kellners
und des mächtigen, reichen, selbstbewussten Onkels.
Beide können statt eines S-Lautes nur ein schwerzungiges „seh"
aussprechen: „Bittescher, Schie wünschen?" - „Alscho:
Schwei Aschbach..."
Dass die Dramatik des Textes tatsächlich eine szenische Einrichtung
verträgt, ja sogar als Monolog eine spannungsvolle Stunde trägt,
beweist die Bühnenfassung, mit der die „Hamburger Theater Manufaktur"
zu Gast im Metropol ist. Schauspieler Hans-Christoph Michel lässt,
allein mit einem Stuhl im leeren Raum, Borcherts bildstarke Sprach-Kunst
so stark wirken, dass es kaum weiterer theatraler Mittel bedarf. Mit sparsamen
Andeutungen charakterisiert er den schwierigen Kellner, gibt dem Onkel die
sonore Stimme von Hans Albers und lässt den verschüchterten Ich-Erzähler
als kleinen Jungen erstehen. Ein tragikomisches Mini-Drama, das sich und
dem Publikum Zeit zu intensiver Wirkung lässt.
Barbara Welter
Münchner Merkur 7. Juni 2001
Borcherts Schischyphusch im Metropol-Theater
Gebückt, zurückhaltend, mit eingerollten Schultern,
dem Gestus, mit welchem er seit Jahren bedient, steht der kleine Ober vor
einem Gast, der ihm laut dröhnend seine Bestellung um die Ohren knallt:
„Alscho, schwei Aschbach und für den Jungen Schelter oder Brausche.
Oder wasch haben Schie schonscht?" Der Kellner: „Schehr wohl.
Bitte schehr."
Das, was so aussieht wie eine gemeine Provokation ist keine. Denn beide,
demütiger Ober und prahlender Gast, haben etwas gemeinsam - einen Zungenfehler.
Wolf gang Borcherts Kurzgeschichte mit dem ungewöhnlichen Titel „Schischyphusch
oder der Kellner meines Onkels" ist ein Genuss an beißender Ironie,
rauschender Sprachgewalt, schwarzem Humor und melancholischer Lebenssehnsucht.
Michael Kaller, Regisseur der Hamburger TheaterManufaktur, inszenierte das
Stück zum ersten Mal für die Bühne, mit nur einem Darsteller:
Hans-Christoph Michel. Er ist Kellner, Onkel und Neffe zugleich, aus dessen
Perspektive die schicksalhafte Begegnung in einem Gartenlokal nacherzählt
wird. Einzige Requisiten sind ein schmutziger Lappen und ein alter Stuhl.
Doch das reicht, um die innere Hölle eines ewig Gepeinigten und eines
die Pein ewig Überschreitenden darzustellen. Während Schischyphusch
um sein qualvolles Dasein weiß, ist sich der „Riesensaurier"
seines Schicksals nicht bewusst, bis zu dem Moment, an dem er das Lokal
verlässt - mit dem Wissen um seine eigene Pein. Schließlich macht
der lispelnde Fleischberg auf dem Absatz kehrt. Ihm wurde im Krieg nicht
nur die Zungenspitze weggeschossen, sondern auch noch das Bein. Er verspricht
dem Ober, am nächsten Sonntag wiederzukommen. Der kleine Kellner hat
hat einen Freund gefunden, einen Freund, der wohl nie aufhören wird,
den Apoll in jedem Zentimeter seines Körpers lauthals zu demonstrieren.
Ein wundersamer Abend, der - in aller Schlichtheit -die Tragik und die Komödie
des Lebens auf die Bühne bringt.
Melanie Robertson
Süddeutsche Zeitung 7. Juni 2001
„Schischyphusch"
Wolfgang Borchert, der Kriegsheimkehrer mit den zerfressenen
Eingeweiden, dem zwei Jahre Zeit blieben, um den Schrei der Jugend aufs
Papier zu bannen, schrieb einen einzigen fröhlichen Text. Irgendwann
zwischen der „Hundeblume" und „Dann gibt es nur eins!"
verfasste ihn Borchert. Bevor er im November 1947 in Basel starb, wohin
er zur Erholung reiste, weil seine Hamburger Freunde immer daran glaubten,
seine Stimme dürfe, könne nicht verstummen, war er mit wenigen
Gedichten, mit knapper Prosa, mit „Draußen vor der Tür",
dem Stück, das einen Tag nach seinem Tod in Hamburg uraufgeführt
wurde, zum Sprecher seiner Generation geworden. Einer Generation, deren
Jugend auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs verreckt war, deren
Überlebende als Beckmanns, als Verstörte, Ungeliebte, Fremdgewordene
in dem Land, das einst Heimat gewesen war, umherirrten. Das weiß man,
und man muss es wissen, wenn man nun diesen einzigen unterhaltsamen, scheinbar
von Weltkrieg und Wahnsinn freien Text auf der Bühne sieht: „Schischyphusch".
Zunächst ein Sketch, nicht mehr. Der Onkel des .Erzählers, ein
„Autofahrer, Frauenfahrer, Herrenfahrer", ein Invalide, dem der
Verlust eines Beins nichts nahm von seiner bollernden Sinnenfreude, trifft
in einem Gartenlokal „seinen" Kellner, ein kleines, schüchternes,
verhuschtes Männlein. Beide haben das gleiche Leiden - sie lispeln.
Während der eine sich dröhnend über sein kriegsverletzungsbedingtes
Manko hinwegsetzt, leidet der andere seit Geburt. Zur Freude seiner Mitschüler
musste er einst immer wieder den Namen dessen wiederholen, der sinnlos gegen
sein Schicksal anrennt: Sisyphos. Also Schischyphusch.
Hans-Christoph Michel ist dieser Schischyphusch in diesem Gastspiel der
HamburgerTheaterManufaktur im Metropol-Theater, ist aber auch Erzähler,
Onkel. Die kurze Erzählung ist eine Steilvorlage für eine monologisierende
Vortragsstunde. So lange dauert es in der Regie von Michael Kaller. Denn
er inszeniert den Text in einer altmodischen Langsamkeit, lässt Michel
sehr viel Zeit für die helltönende, schwitzende Verzweiflung des
Kellners, für den anrollenden Donner des Lebe-menschens. Dadurch entsteht
der Eindruck einer ehrenwerten Lehrstunde. Borchert vergleicht das Lachen
seiner beiden Hauptfiguren mit Artillerie und Maschinengewehr, der Krieg
dringt lispelnd ins Gartenlokal. Seine Vortragspausen versieht nun Michel
mit einem Ausrufezeichen: An dieser Stelle soll man Borcherts Gesamtwerk
einfließen lassen. Doch der böse Diskurs von Herrenmensch und
Leidenstier wäre an sich schon klar genug.
Egbert Tholl
Hamburg 19 April 1999
Das Monsuntheater ist als alternativer Spielort über Hamburgs Grenzen hinaus bekannt. Ulrike von Kieseritzky ist seit einem Jahr dabei, das Monsuntheater neu zu beleben und setzt dabei verstärkt auf Literatur und Sprechtheater
„Dieser Raum [das Monsun] klingt an sich und schafft
Atomsphäre", versicherte 1997 noch der damalige Intendant Alfrid
Weber im Hamburger Ttieaterführer. „Dieser Stimmung kann auch
ein gelegentlich unreiner Ton oder ein stolpernder Bewegungsakrobat keinen
Abbruch tun", stimmten die Autorinnen des Eintrages mit ein. Wenn es
auch bei dem indischen Paten bleibt, der entweder Regenzeit oder Trockenheit
verspricht, hat der neue Wind, der seit gut einem Jahr in den Räumen
weht, nicht zwingend dort seinen Ursprung. Die neue Leiterin, Ulrike von
Kieseritzky, nahm nicht nur die störenden - eventuell atmosphärischen
- Säulen aus dem Zuschauerraum, sondern grenzt sich auch inhaltlich
gegen ihre Vorgänger ab: "Wir wollen weg vom Körner-Image."
Daß sie das Image in den Griff bekommen wird, will man der engagierten
Frau aus der Generation Gerhard Schröders glauben. Nicht nur, daß
sie als Pressesprecherin des ehemaligen Hamburger Umweltsenators Jörg
Kuhbier einige Erfahrung auf diesem Gebiet hat. Auch die Premiere Schischiphusch
am 17. März beispielsweise, vor zahlreichem und begeistertem Publikum,
tut das ihrige dazu. Es ist eine von vier Premieren im Laufe eines Monats.
Geschenkt bekommen wird das kleine Haus, das für das Engagement für
experimentelle Theaterfor men geringe Subventionen erhält, aber sicherlich
nichts. Hamburg hat eine Ordnung und seine Heiligen. Für den Fall der
Schischiphusch-Premiere muß Wolfgang Borchert dafür hinhalten:
Ich als Premierenbesucher bin geschockt von den die Aufführung betreffenden
Kritiken. Was ich aus ihnen erfahre, ist, daß die Kritikerinnen den
Text lieber gelesen, denn gesehen hätten. Jedenfalls erfahre ich nichts
über den Theaterabend. Eine Zeitung ist unverschämt genug, nicht
ein Szenenphoto, sondern ein Porträt von Wolfgang Borchert abzudrucken.
Dabei geht es dem Darsteller Christoph Michel und seinem Regisseur Michael
Kaller nicht um Demontage, sondern schlichtweg um die Lust an einem Text
des Meisters, der eben nur ein Theaterstück geschrieben hat. Eine Lust,
die sich auf das Publikum übertragen hat. Denn wer - außer den
KritikerInnen - hat die Geschichte von dem Onkel und seinem Kellner, die
bis auf einen „das Leben prägenden" Sprachfehler unterschiedlicher
nicht sein könnten, seit seiner Schulzeit je wieder gelesen? Ist ein
kurzweiliger Abend mit einem wundervollen Text, ohne Stolperer und falschen
Ton präsentiert, nicht schon viel?
Hier kann es nicht darum gehen, die Aufführung, die ohne Frage mitunter
darstellerisch angestrengt wirkte, gegen die bösen Kritikerinnen in
Schutz zu nehmen. Es geht um Image - und wie man davon los kommt. Hier kann
ich unterstreichen: Ulrike von Kieseritzky und ihre Theaterleute gehen ihrem
Anspruch eindeutig über die Selbstverwirklichung-sperformance eines
Indienpilgerers hinaus. Und es wäre schön, wenn sich das auch
in die Öffentlichkeit verbreitet. Betrachtet man den März-Spielplan,
so fällt einiges auf, daß man für so ein kleines Theater
nicht unbedingt erwarten würde. Necla Akgün inszernierte Anfang
März Putzfrau, Ophelia und Andere. Neben einem Schauspielstudium hat
sie das immer renommiertere „Flimmsche- Regieinstitut" absolviert
und schon manch andere Bühne belebt. Cyber-stories 1.0, eine Performance
in drei Akten von und mit Hans-A. Marsiske, gehört da sicher zur experimentelleren
Seite. Monatlich präsentiert der russische Salon kontinuierlich interessante
Gäste. Eric Bogosians Notizen aus dem Untergrund in der Inszenierung
von Magareta Pesendorfder mit Ulrich Gall feierte an den städtischen
Bühnen Augsburg Premiere. Am 31.3., 2., 3., 4.4. in Hamburg. Im Monsuntheater.
Friedensallee 20 - keine schlechte Nummer.
René Harder.
Tageszeitung 19. März 1999
Ein Stück, eine Person: Borcherts „Schischyphusch“ im Monsun Theater
Es ist nicht immer leicht, beim Trostspenden die passenden
Worte zu finden. Doch selbst als äußerste Notlösung würde
man schwerlich „armes, kleines Luder" akzeptieren. Wen sollte
man damit beglücken? Vielleicht einen armen, einsamen pygmäenhaften
Kellner in einem schlechtsitzenden Jackett und mit angeborenem Sprachfehler?
Das legt zumindest Wolfgang Borcherts Erzählung Schischyphusch oder
der Kellner meines Onkels nahe, die die Theatermanufaktur in der Regie von
Michael Kailer als Ein-Mann-Stück im Monsun Theater aufführt.
Der Schauspieler Hans-Christoph Michel wechselt trotz minimalistischer Requisite
- ein Stuhl sowie das abscheulich gemusterte und knackenge Jackett - unablässig
zwischen drei Charakteren hin und her. Mal ist er der kindliche Erzähler,
der Neffe des Onkels, mal besagter Kellner, der bei jedem „Bitte schehr"
die Grenzen des Erträglichen überschreitet, was den Grad an Servilität
betrifft.
Mit dem Öffnen des Jackettknopfes schlüpft Michel in die Gestalt
des einbeinigen Onkels, der all das bewahrt hat, was dem Kellner durch die
Jahre des Spotts abhanden gekommen ist. Immerhin hat der Onkel nur ein Bein
und dazu die gleiche Sprechstörung wie der Kellner. Und trotzdem ist
er ein wahrer Lebemann, ein Frauenheld, Autoliebhaber und irgendwie ein
guter Mensch. Und einer von denen, die ohne Hemmungen mit „armes,
kleines Luder" ihr Mitleid darüber bekunden, daß jemand
mit „scho einem garschtigen Schungenfehler" herumläuft.
Liv Heidbüchel
Hamburger Morgenpost 19. März 1999
„Schischyphusch“ im Monsun Theater
In „Schischyphusch oder Der Kellner meines Onkels"
schildert Wolfgang Borchert die kurze Begegnung zweier grundverschiedener
Männer, doch beide behaftet mit demselben Zungenfehler. „Esch
ischt schamlosch von Schie, schieb über mich schu amüschieren,
taktlosch ischt dasch.“ Hier der Kellner des Gartenlokals: „klein,
verbittert, verarbeitet". Dort der Onkel des Erzählers: „laut,
lachend, lebendig". Einen Augenblick lang glaubt jeder der beiden Kurzzungigen,
der andere wolle ihn verspotten. Regisseur Michael Kaller von der HamburgerTheater
Manufaktur brachte die Geschichte dieses Mißverständnisses auf
die (bis auf einen Stuhl) leere Bühne des Monsun Theaters. Beständig
läßt er Hans-Christoph Michel zwischen Erzählerrolle und
Rollenspiel wechseln. DessenDarstellung.der kleinen Episode steigert sich
zum Wahnsinns-Monolog eines Mannes, der - innerlich zerrissen zwischen Kleinheit
und Größe, Scham und Bewunderung - unablässig durch den
Raum hetzt: leider mit viel aufgesetzter Theatralik. Eine gut gemachte Lesung
wäre der Sache wohl eher gerecht geworden.
Brigitte Scholz
Hamburger Abendblatt 19. März 1999
-itz Hamburg - Erzählungen sind seit je ein beliebter
Stoff für Theaterprojekte. Ihr Sinn wird nicht immer einsichtig. Daß
sie taugliches Rollenfutter bieten, mag einem spielwütigen Schauspieler
genügen. Reicht aber nicht als Grund für die Dramatisierung -
etwa von Borcherts Kurzgeschichte „Schischyphus oder Der Kellner meines
Onkels".
Das Gastspiel der HamburgerTheaterManufaktur im monsun theater, inszeniert
von Michael Kaller, erntete dennoch viel Beifall, der vor allem Hans-Christoph
Michel galt. Der Schauspieler wirft sich ins Zeug und nützt die Chance,
gleich drei Figuren auf einmal mimen zu können: Er springt von der
Erzählerrolle in die geduckte Verbitterung des Kellners und die großspurige
Jovialität des Onkels. Im wesentlichen illustriert er den dialogischen
Prosatext.
Regisseur Kaller begeht den Fehler, die groteske Geschichte als Groteske
zu inszenieren. Die anrührend menschliche und komische Begegnung zweier
vom Naturell her zutiefst gegensätzlicher, doch mit demselben Gebrechen
- einem Zungenfehler - geschlagener Menschen verkürzt er zur eindimensionalen
Karikatur. Die verzerrte, angestrengt witzige Clownerie läuft sich
rasch tot. Obwohl der Text nicht totzukriegen ist. Letzlich triumphiert
der Dichter Borchert und mit ihm der sich eigentlich unnötig abstrampelnde
Darsteller. Viel echter, direkter als sein Spiel wirkt das Wort.
Klaus Witzeling.