Böhme Zeitung 18. Juni 2003
Ein schauspielerisches und sprecherisches Glanzstück präsentierte Christoph Michel mit dem Solo-Stück „Michael Kohlhaas“
Soltau. „An den Ufern der Havel lebte um die Mitte des
sechzehnten Jahrhunderts ein Rosshändler names Michael Kohlhaas, Sohn
eines Schulmeisters, einer der rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten
Menschen seiner Zeit." Mit dieser eher „nüchternen Meldung"
beginnt die Novelle „Michael Kohlhaas", die Heinrich von Kleist
(1777 bis 1811) ein Jahr vor seinem Selbsttod mit dem Zusatz „Aus
einer alten Chronik" veröffentlicht hat. Aber was so „nüchtern“
beschrieben wird, entwickelt sich über rund 80 Buchseiten zu einer
spannenden Geschichte mit dramatischem Ende. Lässt sich eine solche
Geschichte textgenau „spielen“? .
Der Hamburger Schauspieler Christoph Michel ist das Wagnis eingegangen und
präsentierte die Novelle auf Einladung der Kulturinitiative .Soltau
im Forum der Bibliothek Waldmühle als Solostück und bot eine schauspielerische
und sprecherische Meisterleistung. Ohne Pause und Konzept rezitierte er
über anderthalb Stunden den Kleist-Text und „spielte" die
Rollen der handelnden Personen: den Kohlhaas ebenso wie den Zöllner,
den Junker, den Schlossvogt oder den Kurfürsten. Eine Herausforderung
auch für das Publikum. Der dunkle Hintergrund und die ma.gere Ausstattung
mit Requisiten - nur ein Stuhl und eine Aktentasche reichten Michel - zwang
die Zuschauerinnen und Zuschauer, sich voll auf den Akteur zu konzentrieren,
der trotz des umfangreichen Textes kaum einmal ins Stocken geriet, wobei
er diese wenigen Situationen gekonnt überspielte.
Es ist die Vielschichtigkeit des Inhalts und die daraus resultierende Deutung,
die die Novelle so populär gemacht hat. Wie war es möglich, dass
aus einem rechtschaffenden Mann einer der „entsetzlichsten" Menschen
wurde? Schließlich ist es bei einem Streit „nur“ um zwei
Pferde des Rosshändlers gegangen, die sich ein Junker widerrechtlich
angeeignet hat. Aber der Streit eskaliert.
Michael Kohlhaas wird zum Revolutionär und überfällt mit
einer Bande von Gleichgesinnten die Stadt Wittenberg, was den Kurfürsten
und sogar Martin Luther, der zu vermitteln versucht, auf den Plan ruft.
Der Kurfürst trifft eine „weise“ Entscheidung. Der Klage
gegen den Junker wird stattgegeben, was Kohlhaas mit Genugtuung zur Kenntnis
nimmt, der seinerseits aber wegen Aufruhr zum Tode verurteilt wird.
Lothar Eichmann
Hamburg Pur Dezember 2002
Rächender Bürohengst
Er ist der berühmteste Rächer aus der deutschen
Literatur: Michael Kohlhaas, der „Roßkamm" aus Kohlhasenbrück,
der im 16. Jahrhundert ganze Landstriche abfackelte, weil ihm Unrecht geschah.
Heinrich von Kleists berühmte Novelle über den Pferdehändler,
der sich wegen zweier ruinierter Rappen der Selbstjustiz befleißigte,
hat Jens Paarmann im Monsun Theater szenisch umgesetzt. Einzig ein Stuhl
steht auf der Bühne. Hans-Christoph Michel betritt dieselbe mit Aktentasche
und Thermosflasche bewaffnet. Er gönnt sich erst einmal einen Schluck.
Dann beginnt er die Kleist'sche Novelle dozierend wie ein Pauker zu erzählen.
Doch schon bald packt ihn das Geschehen. Stimme, Gestik und Mimik variieren.
Michel schlüpft in die verschiedenen Rollen der Geschichte. Mal ist
er der zunächst noch ruhige, auf sein Recht bauende Kohlhaas, dann
dessen erregter Knecht Herse, der von derTronkenburg gejagt wird, auf der
er die Pferde des Kohlhaas betreuen sollte, und immer wieder ein lebhafter
Erzähler mit Sinn für die wortgewaltige Sprache Kleists. Es gelingt
ihm, die Novelle lebendig zu gestalten, auch weil der Text radikal gekürzt
und um kleine Rollen ergänzt wurde. So erzählen zum Beispiel drei,
in Temperament und Einstellung ganz unterschiedliche Knechte vom Überfall
des Kohlhaas auf die Tronkenburg. Man sieht die Flammen lodern, als säße
man im Kino.
Christian Hanke.
Hamburger Abendblatt 9. November 2002
Hamburg - Vor zwei Jahren trat der Schauspieler Hans Christoph
Michel schon einmal mit Heinrich von Kleists Novelle „Michael Kohlhaas"
vor das Publikum des Ottenser Monsun-Theaters - sechs Stunden dauerte seine
Lesung damals. Jetzt haben er und Regisseur Jens Paarmann einen stark gekürzten
(auf 1,5 Stunden) szenischen Rezitationsabend daraus gemacht.
Nur einen Stuhl und eine Aktentasche mit Thermoskanne benötigt Michel,
um die Geschichte des „rechtschaffendsten und zugleich entsetzlichsten
Menschen seiner Zeit" zu erzählen. Was muss geschehen, dass ein
braver Bürger wie Kohlhaas zum Gewalttäter wird? Die Inszenierung
versucht dem Fall von Selbstjustiz analytisch, manchmal zu plakativ, auf
die Spur zukommen. Bezüge des Textes von 1810 zum aktuellen Zeitgeschehen
stehen dabei nicht im Vordergrund, vielmehr ist der Abend eine Hommage an
Kleists wunderbare Sprache.
(msch)